04.09.2017. Denkt man an Bulgarien, an Rumänien, an Serbien und den Rest des Balkans, Regionen, die Pascal seit Wochen durchpaddelt, dann kommt man um ein Thema nicht herum: der Umgang mit den Sinti und Roma. Schlagzeilen, die man dazu lesen kann, machen in der Regel nachdenklich bis traurig. Und irgendwie ist zu spüren, dass man vermutlich das eine oder andere Klischee, den einen oder anderen Stereotypen zu dieser Volksgruppe selber in sich trägt. Aber wenn die Frage gestellt wird, was man über die Sinti und Roma weiß, über ihre Geschichte, ihre Traditionen, woher sie kommen, was sie umtreibt, dann gerät der Antwortende schnell ins Stocken. Migration nach Europa, Leibeigenschaft, Verdächtigung als Spione, Vogelfreiheit, Aufenthaltsverbote, Zwangsausweisungen – all diese prägenden Dynamiken begannen bereits im Spätmittelalter und erklären zum Beispiel die permanenten Wanderungsbewegungen dieser Volksgruppe. Katastrophale Auswirkungen hatte die Rassenpolitik der NS-Zeit. Und nachdem diese Schrecken für viele Menschen nach dem zweiten Weltkrieg vorbei waren, ging die Diskriminierung für die Roma weiter. Sie durften selten an ihre ursprünglichen Wohnorte zurück. Ganz bewusst wurden sie an die Stadtränder gedrängt. Ein aktuelles Buch von Karola Fings (Sinti und Roma. Geschichte einer Minderheit) beschreibt auf 120 Seiten die tragische Geschichte der Sinti und Roma, aber auch die Hoffnungsschimmer, die durch mehr und mehr Bürgerinitiativen aufkommen. Pascals heutiges Tagesziel, die kleine Stadt Lom, ist eine Hochburg der Roma, der Großteil der Einwohner gehört dieser Volksgruppe an.
Am Abend erfuhr Pascal, dass seine Unterkunft in Vidin früher ein türkisches Bad war. Er hatte sich schon darüber gewundert, warum die Zimmer größer als seine komplette Wohnung waren. Endlich konnte er nach eher durchwachsenen Nächten wieder einen guten und erholsamen Schlaf finden, eine absolute Wohltat. Nach dem Frühstück am Morgen begab er sich dann vom Zentrum zurück an das Donauufer, und schon auf dem Weg dahin spürte er den aufkommenden Wind im Gesicht, leider aus der falschen Richtung.
9:30 Uhr machte Pascal sich auf den Weg, und die heutige Etappe stand wahrlich unter dem Motto „vom Winde verweht“. Die ersten Kilometer waren sehr zäh für Pascal, der Wind drückte ihm ins Gesicht, er kam nur mit Geschwindigkeiten um die fünf Stundenkilometer voran. Erste Sorgen ob der langen Etappe kamen bei ihm auf. Seine Hoffnung war die nächste lange Kehre, die bald folgen sollte, vielleicht würde dort der Wind drehen.
Rund zehn Kilometer nach Vidin nimmt die Donau eine langgezogene Kehre und fließt gen Osten – ein folgenschwerer Punkt, denn diese Richtung wird sie nun für rund 400 Kilometer nicht mehr verlassen. Es liegt an dem massiven Gebirgszug des Balkans, der rund 100 Kilometer südlich nun auch gen Osten zieht, die Donau kommt gegen das Gestein seiner Vorläufer nicht an, und so verlaufen Gebirgszug und Donau parallel durch den Norden Bulgariens. Bulgarien ist im Hinblick auf die Donau ein eher zweigeteiltes Land. Der zur Donau zugewandte Norden wird durch den Gebirgszug vom Süden abgeschnitten. Dadurch wendet sich der Süden der Ägäis zu, und in diesen Landesteilen wohnt auch der Großteil der zehn Millionen Einwohner Bulgariens. Der Norden ist eher dünn besiedelt und wirkt sehr agrarisch.
Die Kehre brachte Pascal die erhoffte Wende, der Wind drehte, und endlich wurde er nun angeschoben. Der Rückenwind war so stark, dass sich sogar kleine Wellen bildeten, auf denen Pascal quasi die Donau herunter surfte. Dafür ging er auf seinem SUP teilweise einige Schritte zurück, um die kleinen Wellen optimal auszunutzen. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 13 Stundenkilometern kam er nun voran.
Die Donau zeigte sich heute wieder in einer fulminanten Breite, die Passage war oft von kleinen Inseln und Sandbänken in der Donau geprägt. Für Pascal war es eine eher einsame Etappe, auf bulgarischer Seite passierte er gerade einmal drei kleinere Dörfer auf dem Weg nach Lom. Auf rumänischer Seite war weit und breit kein Ort zu sehen. Und das wird auch erstmal so bleiben, erst bei Flusskilometer 630 liegt wieder ein Dorf auf rumänischer Seite direkt an der Donau. Nur wenige Lastkähne und Passagierschiffe bekam er zu Gesicht. Pascal stört sich nicht weiter daran. Denn in der Natur zu sein, die Stille und Ruhe zu genießen, seine Gedanken treiben zu lassen, genau solche Dinge waren neben dem Hauptanliegen, dem Erhalt der Wasserlandschaften, seine Intention ins Schwarze Meer zu paddeln. Unterkünfte kann Pascal immer wieder auf bulgarischer Seite finden, und zur Not ist er mit seinem Zelt flexibel. Die vielen idyllischen Inseln und Sandbänke nutze Pascal heute für insgesamt drei kleinere Pausen.
Die letzten fünf Kilometer drehte der Wind abermals, Pascal hatte nun mit Seitenwind zu kämpfen. Für ihn hieß es mal wieder verstärkt nur auf einer Seite zu paddeln, ansonsten hätte es Pascal über die Donau getrieben. Gegen 16 Uhr erreichte Pascal schließlich sein Tagesziel Lom. Er hat nun auf den über 1.700 Kilometern über 400.000 Paddelschläge gesetzt und knapp 250 Stunden netto auf dem SUP gestanden. Das Anlanden selber war gar nicht so einfach. Zunächst einmal paddelte Pascal ein paar Meter zu weit. Bei den kleinen Wellen und dem Wind war es entsprechend zäh, wieder zurück zu paddeln. Und dann galt es auch noch die hohe Kaimauer zu überwinden, kein leichtes Unterfangen, aber Pascal schaffte es irgendwie. Eine weitere rund 50 Kilometer lange Etappe auf dem Weg zum Schwarzen Meer war damit erfolgreich gemeistert.
Lom ist eine Stadt, die neben einem kleinen Altstadtkern nicht wirklich viel zu bieten hat. Das Bild prägen eher verfallene Gebäude, sozialistische Plattenbauten und alte Hafenanlagen. Pascal konnte wieder viele Kontraste sehen. Denn auf den verfallenen Häusern waren die modernsten Satellitenschüsseln angebracht, und er konnte Menschen beim Surfen mit den neusten Smartphones beobachten. Der Hafen selbst hatte früher eine große Bedeutung für den Handel mit Österreich-Ungarn. Zurück geht der Ort auf die Thraker und später die Römer, die hier eine Festung namens Almus bauten. Das lokale Bier trägt noch heute den Namen der Burg. Vielleicht kann Pascal am Abend eine Kostprobe davon nehmen.
Von den insgesamt 30.000 Einwohnern von Lom sind übrigens 18.000 Roma. Bedenkt man den Status und das Ansehen dieser Volksgruppe in Bulgarien, wie auch im Rest Südosteuropas, dann kann man ein Gefühl dafür entwickeln, wie es um die Stadt heute wirtschaftlich und sozial steht. Aber es gibt Hoffnungszeichen. Vor vielen Jahren wurde in Lom die Roma Lom Foundation gegründet, eine Hilfsorganisation, die die Roma im alltäglichen Leben unterstützt. Familien wird zum Beispiel dahingehend geholfen, dass ihre Kinder zur Schule gehen. Fast alle Roma-Kinder in Lom können einen Schulabschluss machen. Einige beginnen danach sogar ein Studium. Es ist definitiv der richtige Ansatz, um dieser oftmals falsch verstandenen Volksgruppe bessere Chancen auf ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Lom stellt damit im Vergleich zum Rest Bulgariens, aber auch zu vielen anderen Ländern, eine Ausnahme dar. Mehr Programme zum Austausch, zum besseren Verständnis des Anderen, zur Überwindung von Klischees und Stereotypen wäre wünschenswert – und das gilt nicht nur für die Anrainerstaaten des unteren Donaulaufs. Hierzu passt vielleicht der P&T-Spruch der Woche gut: „Doing your best means never stop trying.“
Morgen geht es für Pascal weiter nach Orjachowo, eine sehr lange Etappe von rund 60 Kilometern. Drücken wir die Daumen, dass der Wind von hinten bläst. TF
PS: Von Christine aus dem Chiemgau haben wir einen guten Tipp für einen Dokumentarfilm in Anlehnung an den Film Zen For Nothing bekommen: www.walkwithmefilm.com. Danke!