29.08.2017. „Land der wilden Oliven“ wurde es in der Antike genannt. Es gibt bunte Häuser, Zypressen, Feigen, Kastanien. Türkischer Kaffee wird gereicht. Dazu Lokum, eine Süßigkeit. Wir sind im Orient. Naja, zumindest fühlt es sich so an. Genauer gesagt: wir sind in Ada Kaleh, eine kleine Insel, kurz vor dem Ausgang des Eisernen Tores. Die Osmanen haben einst eine Festung gebaut. Für den heiligen Baba Miskin, ein Derwisch. „Die Insel bringt der Seele süße Ruh“ sprach dieser. Sultan Kaleh, der Namensgeber, er ließ sich hier mit seiner Frau Ada nieder. Aus Liebe, für die er sogar seinen Harem auflöste. Sie ertrug die Einsamkeit aber nicht und stürzte sich in die Fluten der Donau. Wieder mal ein Opfer. Wie so oft. Menschen kommen reihenweise, um hier Urlaub zu machen. Was für eine malerische Insel. Ein Sehnsuchtsort. Und Pascal wird Ada Kaleh heute erreichen, denn es liegt direkt bei seinem Tagesziel Orsova. Schauen wir mal wie er es empfand.
Gegen 11 Uhr machte er sich auf den Weg, und es sollte eine eher kurze Etappe von rund 16 Kilometern werden. Dennoch war es für Pascal eine mühsame Angelegenheit. Er benötigte heute pro Kilometer 363 Paddelschläge – ein neuer Spitzenwert über alle Etappen hinweg!
Zunächst ging es für Pascal nochmal rund einen Kilometer quer über den Golf von Dubova und dann hinein in den Mali Kazan, den Kleinen Kochkessel. Die Donau wird auf rund vier Kilometer bis zu 300 Meter eingezwängt. Wie schon gestern, im Veliki Kazan, war die Passage voll von Motorbooten, und sogar ein größeres Kreuzfahrtschiff kam Pascal entgegen. Pascal kam sich wie auf dem Stachus vor.
Am Ende des Mali Kazan ging es dann Schlag auf Schlag, Sehenswürdigkeit auf Sehenswürdigkeit folgte. Zunächst passierte Pascal das malerisch gelegene Kloster Mraconia, das sich direkt am Ufer befindet. Einige Ruinen des Klosters liegen heute unter Wasser.
Kurz darauf folgte auf rumänischer Seite, hinter einer Brücke, die Statue des Decebalus, ein 55 Meter hohes Abbild des einstigen Dakerkönigs. Es ist die größte Felsskulptur in Europa. Ein rumänischer Geschäftsmann ließ sie zwischen 1994 und 2004 von zwölf Bildhauern errichten. Die Statue kostete über eine Million Dollar. Decebalus war der letzte König Dakiens, das im heutigen Rumänien liegt und 106 n. Chr. von den Römern eingenommen wurde. Er gilt als Staatsgründer Rumäniens und wird heute gerne für eine nationalistische Identitätsbildung benutzt. Pascal selber empfand die Statue als kitschig, und so ließ er sie schnell links liegen.
Anschließend weitet sich die Donau wieder, ein breiter See kommt auf. Pascal erinnerte das Stück an den Ammersee. Auf serbischer Seite erscheint hier ein kleines Monument mit einer besonderen Bedeutung: das Tabula Traiana. Es handelt sich um eine römische Tafel, die Trajan, der römische Kaiser im Jahr 100 n. Chr. in das Gestein meißeln ließ. Auf ihr sind Delfine, ein Adler, Rosen und eine Inschrift abgebildet, anlässlich der Beendigung des Baus einer wichtigen römischen Straße. Die Trajanstraße wurde zur Vorbereitung der Dakerkriege gebaut. Die Tafel befindet sich aber nicht mehr an ihrem Ursprungsort. Noch vor dem Bau der Stauwerke wurde die Marmortafel heraus gemeißelt und an höherer Stelle wieder angebracht. Der Abschnitt der Trajanstraße liegt heute weit unter Wasser.
Und dann passierte es: Kurz nach dieser Stelle erreichte Pascal die fulminante Marke von 1.500 Kilometern. Respekt! Eine tolle Leistung!
Bei Eselnita legte Pascal eine kleine Pause ein. Und er war völlig erstaunt, dass er plötzlich glasklares Donauwasser unter sich sah. Er konnte bis auf den Grund schauen. Warum das Wasser hier so klar ist, konnte er sich nicht erklären. Er nutze die Zeit und entspannte ein wenig, denn er wusste, dass es nur noch vier Kilometer bis zum Tagesziel waren.
Nachdem er noch ein wenig weiter paddelte, erreichte er schließlich gegen 15 Uhr das Tagesziel Orsova. Schon am ersten Steg des Orts landete er an, denn hier befindet sich seine heutige Unterkunft.
Orsova war einst eine wichtige Station für die Schifffahrt. Viele Schiffe legten hier an, bevor es auf die Kataraktenstrecke mit ihren durch Felsen und Riffe erzeugten Stromschnellen ging, die nur bei hohem Wasserstand passierbar war und durch die Regulierungen und Sprengungen entschärft wurde. Noch heute existiert in Orsova eine Schiffswerft. 1976 wurde die Kirche der Unbefleckten Empfängnis Mariens errichtet – eine Ausnahmeerscheinung, denn der Bau von Gotteshäusern wurde zu kommunistischen Zeiten in Rumänien untersagt. Heute lebt der Ort vor allem vom Tourismus, denn Orsova ist der Ausgangspunkt für Bootsausflüge in das Eiserne Tor.
Später schlenderte Pascal zu Ralf von der Unterkunft Casa Verde. Es war ein Tipp von Volker, den Pascal in der Unterkunft von Imre in Dunaújváros kennen lernte. Ralf ist ein erfahrener Kajaker und kennt die Gegend sehr gut. So konnte sich Pascal nochmal ein paar wichtige Ratschläge zur Überwindung der zwei noch kommenden Stauwerke sichern. „Ein Expertengespräch unter Paddlern“ wie er es nannte. Anschließend ging er wieder zurück zu seiner Unterkunft, wo er sich gleich ein Abendessen und ein wenig Erholung gönnen wird. Vielleicht hört es Pascal ja heute noch ab und zu mal auf dem Wasser klatschen. Denn gegenüber von Orsova liegt Tekija, das – nein, nicht für den mexikanischen Schnaps – für das Fest Zlatna Buka bekannt ist. Die auf dem Fest gehuldigte Buka ist ein Holzgerät, das auf die Donau aufgeschlagen wird. Das klatschende Geräusch zieht Welse an, die dann leicht gefangen werden können.
Eine Sache ist irgendwie komisch. Da paddelte Pascal den ganzen Tag auf der Donau. Aber von der orientalischen und malerischen Insel Ada Kaleh war weit und breit nichts zu sehen. Bis 1912 war es eine türkische Exklave mit Basaren, einer Moschee und berühmt für seine Rosenzucht. Später benötigten Rumänien und Serbien Energie, und so beschlossen sie mit der Errichtung der Stauwerke den Untergang der Insel. Den Menschen wurde angeboten auf eine andere Insel, etwas oberhalb im Verlauf, umzusiedeln. Die Einzigen, die dort jemals ankamen, waren die Toten, unter anderem die Gebeine des Baba Miskin. Der Großteil der Inselbevölkerung ging zurück in die Türkei. 1971 geht Ada Kaleh schließlich unter, sie versank in den Fluten der Donau und liegt heute 30 Meter unter dem Wasser. An die Insel erinnert nichts mehr. Und dennoch ist es ein Unikum der Weltgeschichte.
Morgen wird Pascal das Eiserne Tor verlassen, das erste große Stauwerk Eisernes Tor 1 folgt. TF