Tag 34: Von Belgrad nach Smederevo – 50,3 km – 7:20 Stunden – 13.138 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.338,8 km

Tag 34: Von Belgrad nach Smederevo – 50,3 km – 7:20 Stunden – 13.138 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.338,8 km

22.08.2017. „Wenn man uns im Westen als Alliierte nicht haben will, werden wir uns anderweitig umsehen.“ Eine Aussage der Smederevo-Rede von Josip Broz, besser bekannt unter dem Namen Tito. Und dann bot er auch noch, als einer der wenigen, Stalin die Stirn. Es war der Weg in die Neutralität, den Jugoslawien nach dem zweiten Weltkrieg beschritt. Tito setzte sich für eine friedliche Koexistenz der Blöcke ein und erwarb sich international einen guten Ruf. Als blockfreier Staat konnte Jugoslawien prosperieren, es wurde sogar ein beliebtes Urlaubsziel. Tito trieb die Industrialisierung seines Landes voran, aus armen Bauern wurden Arbeiter, die in den Fabriken von Pančevo und Smederevo gutes Geld verdienten. Genau durch dieses industrielle Herz des ehemaligen Jugoslawiens und des heutigen Serbiens ging es für Pascal an seinem 34. Reisetag.

Seit Budapest hat Pascal auf einer Strecke von 480 Kilometern bis Belgrad gerade einmal 26 Höhenmeter verloren. Er befindet sich jetzt auf einer Höhe von 73 Metern über dem Meer, viel bleibt also nicht mehr bis zum Schwarzen Meer übrig – bei noch rund 1.150 Kilometern.

Nachdem sich die Jungs vom Ruderclub Veslacki Klub Galeb in Zemun auf Pascals SUP verewigten und ihn verabschiedeten, erfolgte gegen 9:45 Uhr der Start. Eine lange und schwere Etappe stand Pascal bevor. Die noch kommenden Stauwehre beim Eisernen Tor machen die Strömung fast vollkommen zu nichte. Und dennoch war Pascal sehr guter Dinge. Zum einen gab es mit Temperaturen um die 27 Grad und bedecktem Himmel bestes Paddelwetter. Zum anderen konnte Pascal den ersten kleinen Teaser des Dokumentarfilms von Nils und Matse zu seiner Mission vor dem Start sehen. Es zeigt kurze Sequenzen der Isar und der Donau. Nach einem Schwenk der Kameradrohne bekommt man einen tollen Eindruck von den wahren Dimensionen der Donau. Beeindruckend. Es macht definitiv Lust auf mehr. Den Teaser könnt Ihr hier sehen: https://vimeo.com/230551351. Nicht vergessen, den Lautsprecher anzuschalten, es gibt wunderbare Musik zu den Bildern.

Zunächst ging es für Pascal durch das Zentrum von Belgrad und vorbei an der unbebauten Großen Kriegsinsel, einst die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich. Pascal empfand die zehn Kilometer durch Belgrad sehr zäh, vom Fluss aus konnte er nicht wirklich viel Ansehnliches entdecken, ein wirkliches Leben an der Donau spielte sich hier auch nicht ab.

Kurz darauf passierte Pascal die Mündung des größten Nebenflusses der Donau: die Save, zugleich auch der wasserreichste Nebenfluss mit einer Breite von bis zu zwei Kilometern im Mündungsbereich, in einem schönen und intensiven Grün. Es ist der größte Strom Sloweniens und Kroatiens und erstreckt sich über eine Länge von 940 Kilometern. Die Save entspringt im Triglav-Nationalpark und durchfließt später die Hauptstädte Ljubljana und Zagreb. Große Teile der Save sind vom Menschen unberührt, sodass der Fluss frei fließen kann und in seiner Umgebung viele natürliche Überschwemmungsgebiete und Auwälder bestehen. Eine der letzten Populationen des Huchens lebt in ihr, ein bis zu 1,80 Meter großer Lachsfisch, der äußerst bedroht ist. Die Save ist einer der letzten naturbelassenen Flüsse auf dem Balkan. Aber sie ist gefährdet, in Slowenien und Kroatien wurden längst Pläne für eine ganze Reihe von Wasserkraftwerken erarbeitet. Es bleibt spannend, ob sich die Naturschützer gegen die Wirtschaft durchsetzen können. Das Farbspiel Donau/Save hielt sich wesentlich länger im Vergleich zur Mündung der Theiß, vermutlich liegt es an der geringeren Strömung.

Es folgten noch kleinere Vororte von Belgrad und dann ging es für Pascal endlich hinaus aus der Stadt – und endlich wieder in die Natur. Kurz nach Belgrad folgen die zwei Donauinseln Forkontumac und Čakljanac, die noch relativ naturüberlassen sind und Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere spenden. Die Donau teilt sich hier in drei Arme auf.

Pančevo, das hier am nördlichen Arm liegt, ist das Zentrum der serbischen Petrochemie. Unter Tito wurde die Industrie so schnell hochgezogen, dass heute ein Kloster mitten in einer Raffinerie steht. Mehrere Industrieanlagen wurden während der NATO-Angriffe 1999 beschädigt. 40.000 Menschen mussten wegen einer möglichen Kontamination der Luft evakuiert werden. Milosevic und seine Schergen nutzten den Angriff für ihre Propaganda, die westlichen Staaten wollten angeblich das serbische Volk auslöschen. Andere Stimmen behaupteten, man habe Arbeiter bewusst weiter arbeiten lassen, um deren Tod zu missbrauchen und sich in die Opferrolle zu begeben. Die Angriffe wühlten auch andere Themen auf:  der sogenannte „Pancevac-Krebs“, wie die ZEIT 2001 schrieb. Die Menschen wussten nie so wirklich, was in den Anlagen gelagert wurde. Der Krebs trat nur in dieser Gegend vermehrt auf. In den nationalistischen Wirren der damaligen Wochen und Monate verlor sich das Thema aber wieder.

Bei Pančevo mündet die Temesch in die Donau. Sie hat eine Länge von 359 Kilometern. Ihr unterer Lauf ist reguliert und schiffbar. Das Mündungsgebiet war früher häufig überschwemmt, durch die menschengemachte Trockenlegung stellt es heute die Kornkammer Belgrads dar.

Pascal fragte einen Fischer, ob er den südlichen, kleineren Arm der Donau nehmen kann, vor allem, ob er aus diesem wieder herauskommt. Der Fischer bejahte dies und sprach von zwei Stunden, die Pascal benötigen würde. Pascal musste kurz schmunzeln, denn er wusste, dass er den kleinen Seitenarm viel schneller passieren würde. Pascal ließ damit die Industrieanlagen Pančevos links liegen und bekam so nichts von der Stadt mit. Der Seitenkanal erwies sich dann auch als richtige Entscheidung, es war ruhig, es gab viel Natur und den ein oder anderen Fischer. Eine schöne Abwechslung zur großen Metropole Belgrad.

Seine erste Pause legte Pascal nach rund 25 Kilometern ein. Aufgrund der Länge der heutigen Etappe gönnte er sich zwölf Kilometer später nochmal eine zweite Pause. In den Pausen konnte Pascal heute nicht so wirklich entspannen. Er dachte viel über die kommenden Tage und anstehenden Projekte nach: wie es weiter mit dem Film geht, Events, die mit Fanatic Rumänien anstehen und natürlich den damit entsprechenden Organisationsaufwand. Und wie immer in seinen Pausen wurde er von dem elendigen Müll begleitet.

Kurz nach dem Restart wurde Pascal wieder mal von einem Lastkahn passiert. Er musste kurz lachen, denn es erinnerte ihn an Lothar-Günther Buchheim, der 1938 als 18-Jähriger die Donau bis zum Schwarzen Meer runter paddelte. Von Zeit zu Zeit hängte Buchheim sich an einen Lastkahn und ließ sich ein wenig ziehen. Damals schien es noch recht ungefährlich zu sein. Es war auch sein Buch Tage und Nächte steigen aus dem Strom, das Pascal zu seiner Reise inspiriert hat. Eine nette und kurzweilige Lektüre.

Später ging es an dem kleinen Städtchen Grocka vorbei, einst Schlachtfeld zwischen den Habsburgern und Osmanen. Der erfolgsverwöhnte Prinz Eugen von Savoyen erlitt 1739 eine schwere Niederlage, woraufhin Österreich gezwungen war, einen schnellen Frieden mit den Osmanen zu schließen. Serbien und Belgrad gingen wieder an das Osmanische Reich.

Gegen 17 Uhr erreichte Pascal schließlich sein Tagesziel Smederevo. Die Marke von 300.000 Paddelschlägen hat er nun geschafft. Pascal wird heute in einem Vorort verweilen. Allerdings wirkte der Ankunftsort mit einer lang gezogenen Kaimauer, die wahrscheinlich noch unter Tito gebaut wurde, ein wenig trostlos. Und schon nach dem Überwinden der Mauer sah Pascal wieder Müll über Müll. Es tut ihm in der Seele weh, wie er mir zurief. Danach musste er nochmal rund 700 Meter über die vielbefahrene Hauptstraße zur Unterkunft laufen.

Smederevo ist einer der wichtigsten Industriestandorte Serbiens. Neben dem großen Donauhafen gibt es ein großes Stahlwerk, dessen Betreiber in den letzten Jahren stetig wechselte. Nachdem US Steel das Werk wegen roter Zahlen wieder an den serbischen Staat abgab, wurde es anschließend von einem chinesischen Konsortium übernommen. Es ist eine typische Entwicklung für die Region. Chinesische, wie auch russische Investoren kaufen sich in wichtige Schlüsselindustrien der Balkanländer ein. Abhängigkeiten entstehen. Im 15. Jahrhundert war Smederevo Hauptstadt  von Serbien. Aus dieser Zeit resultiert der Bau der beeindruckenden Festung Smederevo direkt am Ufer der Donau, die Pascal morgen passieren wird.

Pascals Fazit des heutigen Tages: „Jeder Kilometer war hart umkämpft.“ Den Abend möchte er nun zum Carboloading und Entspannen nutzen. Viel mehr bietet sich vermutlich in Smederevo auch nicht an.

Tito war übrigens trotz seines autokratischen Führungsstils ein beliebter Landesvater, mit einem über Landesgrenzen hinaus berühmten Charisma. „Wenn dieser Mann Mechaniker ist, bin ich nicht die englische Königin“ sagte die Queen, nachdem sie mit Tito einen Walzer tanzte. Schlosser von Beruf, Gastarbeiter im Ruhrgebiet und Bayern, russischer Gefangener im ersten Weltkrieg, Partisanenführer im zweiten Weltkrieg, der ihn zum nationalen Held machte. Er ließ sich von Stalin nicht unterjochen und setzte seine eigene Version des Sozialismus in Jugoslawien um. „Jugoslawien war einer der offensten Staaten der Welt, was Touristen wie Einheimische betraf, die ohne Visum in ganze vierundvierzig Staaten reisen konnten. Die Jugoslawen genossen alle Freiheiten, außer der Freiheit der Rede. In diesem Detail steckte der Wurm der Zersetzung. Weil es keine Meinungsfreiheit gab, war es auch nicht möglich, offen darüber zu sprechen, wie die Zukunft Jugoslawiens nach Titos Tod aussehen sollte.“ schreibt Jože Pirjevec in seinem Buch Tito. Die Biografie. Die innerjugoslawische Spaltung zwischen den Völkern mit einer großen Spreizung der Lebensverhältnisse versuchte Tito mit mehr Föderalismus beizukommen. Dafür wurde er schon in den 70ern als „Totengräber Jugoslawiens“ bezeichnet. Die Zerfallserscheinungen nahmen nach seinem Tod 1980 zu. Die Folgen davon waren Anfang der 90er Jahre zu sehen.

Morgen geht es weiter nach Dubovac, ein kleiner beschaulicher Ort, kurz vor dem Eingang zum Eisernen Tor. Oh, oh! TF