Tag 48: Von Lom nach Orjachowo – 63,1 km – 8:00 Stunden – 14.184 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.781,8 km

Tag 48: Von Lom nach Orjachowo – 63,1 km – 8:00 Stunden – 14.184 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.781,8 km

05.09.2017. Schon seit ihrer frühesten Entwicklung hat es die Menschen ans Wasser gezogen. Sie siedelten an Flüssen, Seen und Meeren. Das Wasser gab ihnen zu trinken, es gab ihnen zu essen, es tränkte ihr Vieh, ermöglichte ihnen Ackerbau und mahlte das Korn. Es ist der Lebensspender schlechthin, und nicht umsonst besteht der Mensch selber zu 70% aus Wasser. Umso erstaunlicher ist es, dass das nördliche, das rumänische Ufer der Donau, das Pascal derzeit passiert, so dünn besiedelt ist – um nicht zu sagen, es ist überhaupt nicht besiedelt. Dieser Süden der walachischen Tiefebene, er war und ist auch heute noch ein Sumpfgebiet, ein Schwemmland, mit vielen Verästelungen, Nebenarmen, Inseln und Marschen, das eine Urbanmachung der Gegend kaum ermöglichte. Permanente Überschwemmungen sorgten dafür, dass Städte und Dörfer zum Schutz weit landeinwärts errichtet wurden. Die walachische Tiefebene gilt wegen ihrer nährstoffreichen Böden als „Kornkammer Europas“. Daneben hat sie noch ein weiteres Schmankerl zu bieten: Erdöl. Die Walachei ist einer der erdölreichsten Regionen Europas, um die im zweiten Weltkrieg heftige Kämpfe zwischen Wehrmacht und roter Armee tobten. Es ist eine hydrologisch wie historisch interessante Region, und Pascal bietet sie derzeit vor allem naturbelassene Ufer und eine angenehme Ruhe – „eine eigene Welt“, so bezeichnete Pascal seine derzeitigen Eindrücke.

Nach einer erholsamen Nacht ging es für Pascal in der Früh zunächst zum Einkaufen, da es in seiner Unterkunft kein Frühstück gab. Pünktlich um 8:50 Uhr machte er sich auf den Weg, denn er wusste um die Länge der heutigen Etappe. Insgesamt wurden es mehr als 63 Kilometer. Das ist ein neuer Spitzenwert. Der leichte Rückenwind, ein bedeckter Himmel und kühlere Temperaturen kamen ihm zu Gute. Pro Kilometer musste er im Durchschnitt 223 Paddelschläge setzen, damit lag er heute leicht unter dem Durchschnitt über alle Etappen hinweg. Die Etappe hatte sich Pascal vorher im Kopf zurecht gelegt, sein Plan war zwei Mal 25 Kilometer, und zum Schluss nochmal zehn Kilometer zu paddeln, und dazwischen jeweils einen kurzen Stopp einzulegen.

Wie schon gestern wurde es für Pascal eine einsame Etappe. An den Donauufern kommen tatsächlich nur selten Orte zum Vorschein. Die Donau zeigt sich immer wieder in ihrer fulminanten Breite. Es fühlte sich mehr wie an einem Meer an, als an einem Fluss. Kleinere Ströme, wie die Tsibritsa oder die Ogosta, münden in die Donau. Von Pascal sind sie aber kaum zu spüren, denn sie werden umgehend von der Donau geschluckt. Es ist wie ein langer Lauf in der Marathonvorbereitung, vor allem das Mentale ist wichtig, und bei der vielen Zeit zum Nachdenken geht es auch darum ruhig und entspannt zu bleiben. Durch die vorhandene Strömung war Pascal guter Dinge, er konnte dadurch mit Durchschnittsgeschwindigkeiten um neun bis zehn Stundenkilometer vorankommen. Seine Pausen zur Erholung legte er wie geplant ein.

Kurz vor Kosloduj, ungefähr nach 40 Kilometern paddeln, kommt plötzlich das Radetzky-Schiff zum Vorschein. Es ist ein Nachbau des Originaldampfers der Donau-Dampfschifffahrt-Gesellschaft, das zur Legende wurde. Im Freiheitskampf um ein unabhängiges Bulgarien kaperte 1867 der Volksheld, Dichter und Freiheitskämpfer Christo Botev das Schiff, gelangte an die andere Seite und fiel drei Tage später im Kampf. Interessanterweise entschuldigte sich Botev bei den Passagieren sogar für die Unannehmlichkeiten. Denn eine Alternative hatten sie für die Überquerung nicht, weit und breit gab es keine Brücke über die Donau. Heute ist das Schiff ein Museum, das die Geschichte vom tragischen Kampf des Christo Botev erzählt. Die Geschichte zu Botev erwähnten wir schon mal vor einigen Tagen im Blog.

Der darauf folgende Ort Kosloduj steht wiederum ganz im Zeichen von Christo Botev. Zu seinem Gedenken gibt es eine Statue mit der Inschrift „Er stirbt nicht“, Bäume wurden in Form seiner Initialen gepflanzt und jährlich finden die Botew-Tage statt, mit einem Marsch, den Botev nach der Anlandung auf der anderen Donauseite beging und der nach rund 85 Kilometern mit seinem Tod endete. Kosloduj hat aus energietechnischen Gründen eine wichtige Bedeutung für Bulgarien. Von den einstigen sechs Blöcken des Kernkraftwerkes sind nur noch zwei im Betrieb. Der Großteil der lokalen Bevölkerung arbeitet im Kernkraftwerk. Früher war das Treideln die Haupteinnahmequelle des Ortes.

Kurz nach Kozloduj wartet die Donau mit einer schönen Aulandschaft, kleinen Nebenarmen und zwei großen Inseln auf.  Die Wegmarkierungen auf dem Wasser sind teilweise mit Gras und kleineren Büschen zugewachsen. Die Navigation wird dadurch ein wenig erschwert. An einer der großen Inseln sah Pascal plötzlich drei Menschen – zu seiner großen Überraschung mit einer Deutschlandfahne. Wer diese Männer sind, interessierte Pascal dann schon, vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit für einen kurzen Plausch. Und so landete er an. Irgendwie sahen sie wie drei Fischer aus, zumindest hatten sie 18 Angeln ausgelegt, aber irgendwie auch wieder nicht. Der ältere Mann hat Schwiegereltern aus der Nähe von Erding, wie er in seinem gebrochenen Deutsch berichtete. Ein anderer erklärte Pascal zu seiner Verwunderung, dass er ihn schon in Cetate gesehen hat, und er sei Polizist. Sie erklärten ihm, dass er sich hier auf einer rumänischen Insel befindet.

Ihre Angeln waren mit einem Sender ausgestattet. Sobald sich eine Angel bewegt, meist wenn ein Fisch angebissen hat, so wurde dies auf einem Steuerungsgerät angezeigt. Zu Pascals Ärgernis hatten sie einen Graskarpfen, der bereits gefangen war, im Wasser irgendwie angeleint, damit er nicht schlecht wird, wie sie erklärten. Pascal äußerte seinen Unmut, dass das dem armen Fisch sicherlich nicht gut tut und er leidet. Pascal gab den Herren seinen Bierdeckel und paddelte weiter. Einen richtigen Reim konnte sich Pascal auf die drei nicht machen, und dass einer ihn schon gesehen hatte, wunderte ihn dann doch sehr. Oder leidet Pascal mittlerweile, nach den vielen Kilometern in Einsamkeit, an ersten Tendenzen von Verfolgungswahn? Ist das vielleicht der Geheimdienst auf seiner Spur? Er musste selber schmunzeln ob der eigenen Gedanken und paddelte weiter dahin. Die Männer erzählten ihm noch, dass angeblich zwei weitere SUPer zwei Tagesetappen hinter ihm liegen. Pascal hat gefühlt seit Ewigkeiten keine Paddler mehr gesehen, sei es auf einem SUP oder einem Kajak.

Nach weiteren zehn Kilometern erreichte Pascal gegen 16 Uhr schließlich sein Tagesziel Orjachowo. Es war mal wieder eine abenteuerliche Anlandung mit kleiner Klettereinlage. Wie immer in den letzten Tagen machte er bereits einige hundert Meter zuvor einen kurzen Stopp, um nochmal auf dem Handy zu schauen, wo er anlanden muss. Orjachowo ist ein auf Terrassen angelegter Ort, der mit einem historischen Museum, der Kirche des heiligen Dimitar und einer schönen Aussicht auf die Walachei und die kommenden steileren Ufer der Donau aufwartet. Bis zum Schwarzen Meer sind es von hier weniger als 700 Kilometer. Pascals Fazit zu heute: Er fühlt sich sehr gut, auch der Körper hält und ganz wichtig: bisher hat er noch nicht einen Anflug von Erkältung, Schnupfen oder Ähnlichem gespürt. Auf dem Wasser, vor allem in der derzeitigen Einsamkeit, mit Blick auf die vielen Sandbänke und Inseln, fühlt er sich wie in einer eigenen Welt. Es läuft, kann man konstatieren. Am Abend wird Pascal hoch in den Ort gehen, um einen Eindruck zu gewinnen und ein paar Bilder zu schießen. Danach heißt es Füße hochlegen, auch für morgen ist wieder eine lange Etappe geplant.

Entstanden ist das historische Gebiet Walachei übrigens aus einem Freiheitkampf im 14. Jahrhundert, als Besarab I. Ungarn besiegte und die Unabhängigkeit proklamierte. Später gewann der osmanische Einfluss deutlich Überhand. Die Vasallen Walachei und Moldau galten den Osmanen als „unsere Augen nach Europa hinein“. Erst die Russen stellten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Walachei unter ihren Schutz. Letztendlich war sie nie ein Königreich, sondern vielmehr eine Verwaltungseinheit mit wechselnder Oberhoheit, dafür aber stabilen Grenzen. Wegen ihrer Entfernung zu den großen Reichen stellte sie immer ein Randgebiet dar. 1859 war es dann Alexandru Ioan Cuza, der die Walachei mit dem Fürstentum Moldau vereinigte und so die Grundlagen des späteren Rumäniens schuf. Heute stellt sie mit der Hauptstadt Bukarest das Herz Rumäniens dar. Viel weiß man in unseren Gefilden wohl eher nicht über die Walachei. Den einzigen Bezug stellt oftmals der Ausspruch her: „Hier sieht es aus wie in der Walachei.“ Gemeint ist damit ein weit entfernter, unwirtlicher Ort oder – so wie ich es als Kind oft hören musste – dass man mal wieder sein Zimmer aufräumen sollte. Und so wie der Spruch ist, so ist vermutlich auch das Bild, das viele Menschen von der Walachei haben. Die Lösung? Vielleicht sich ein eigenes Bild machen.

Morgen geht es für Pascal weiter zu dem kleinen Ort Zagrazhden. Mal schauen, ob er dort eine Unterkunft findet, ansonsten heißt mal wieder zelten. TF