Tag 33: Von Slankamen nach Belgrad – 42,3 km – 5:15 Stunden – 9.027 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.288,5 km

Tag 33: Von Slankamen nach Belgrad – 42,3 km – 5:15 Stunden – 9.027 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.288,5 km

21.08.2017. Gibt es eine Stadt, die sooft zerstört wurde wie diese? Sie musste angeblich 50 mal wieder aufgebaut werden. Von Thrakern, Kelten, Römern, Slawen, Bulgaren, Byzantinern, Ungarn, Österreichern, Osmanen, dann wieder Österreichern, dann wieder Osmanen und so weiter und sofort. Nicht jeder hat sie gemocht. Die Habsburger Offiziere sahen es als Degradierung, mussten sie dahin. Es war ein ständiges Gezerre um diese Stadt. Stets war sie Hotspot sämtlicher Kriege der Region. Ihre Lage war einfach zu gut. Sie war perfekt um den Norden zu verteidigen. Sie war perfekt um den Süden anzugreifen. Et vice versa. Was hat es aus ihr gemacht? Sie wurde ein Schmelztiegel der Völker, der Religionen, der Traditionen, der Kulturen. Kapitale von Serbien. Sitz der serbisch-orthodoxen Kirche. Die „weiße Stadt“. Tor zum Balkan. Heimstätte der heißblütigen Fußballfans von Roter Stern und Partizan. Singidunum, Alba Bulgarica, Bello grado, Griechisch Weißenburg, Dar Ul Jihad, Beograd, Belgrad! Pascals heutiges Tagesziel. Die vierte von vier Hauptstädten auf seiner Reise. Die letzte Metropole vor dem Schwarzen Meer. Und eine Stadt die spaltet. „Belgrad ist die hässlichste Stadt der Welt am schönsten Ort der Welt“ sagte einst Le Corbusier. Schauen wir mal, wie Pascal Belgrad empfindet.

Aber der Reihe nach. Pascal verbrachte gestern nochmal einen netten Abend bei rustikaler serbischer Küche. Der Junior des Gastes Marko und seine Freundinnen ließen sich mit Pascals SUP fotografieren und verewigten sich darauf – die ersten Autogramme in kyrillischer Schrift (siehe Bilder). Am Morgen half ihm ein ehemaliger Seemann aus dem Burgenland, der heute in Hamburg lebt, sein Gepäck ans Wasser zu tragen und verabschiedete Pascal mit den Worten: „SUP ahoi!“, um Pascal anschließend  ein „traumhaft sicheres Ablegemanöver“ zu attestieren. Kurz nach dem Start gegen 9:30 Uhr passierte Pascal die Theißmündung, die in ihrer grünlich schimmernden Farbe in die bräunliche Donau mündet. Nach 500 Metern war es aber vorbei mit dem Farbenspiel, die braune Donau hatte die Theiß vollständig vereinnahmt.

Die ersten 20 Kilometer gingen für Pascal locker voran. Er konnte dabei mal wieder einen großen Seeadler beobachten. In diesen Momenten hält er auf seinem SUP inne und genießt die Leichtigkeit und Eleganz des Auf- und Absteigens dieses edlen Tieres. Und er dachte in diesem Moment an seinen Freund und Gebietsbetreuer Thomas Schoger-Ohnweiler, der im Isarmündungsgebiet versucht den Seeadler wieder anzusiedeln. Der Seeadler ist ein eher scheues Tier, das eine Vorliebe für Überschwemmungsgebiete mit viel Totholz für seine Beobachtungen hat. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war er in Westeuropa nahezu ausgerottet, um später wieder angesiedelt zu werden. In einzelnen Regionen gilt er immer noch als stark gefährdet.

Nach 20 Kilometern machte Pascal seinen ersten und einzigen Tagesstopp. Zu Lynne Cox, die wir gestern im Blog erwähnten, fiel ihm nochmal der Dokumentarfilm Fishpeople von Keith Malloy ein. Im Film geht es um außergewöhnliche Menschen, die ihr Leben dem Meer widmen oder gewidmet haben. Aber auch um den tieferen Sinn, den der Mensch mit der Vereinigung des Ozeans mit seinen unendlichen Freiheiten und Tiefen finden kann. Sehenswert. Leider wurde Pascal aber wieder schnell aus seinen Gedanken herausgerissen, denn wie immer bei seinen Pausen war er von viel Plastikmüll umgeben. Darin findet sich definitiv kein tieferer Sinn. Und dennoch ist Pascal von der Kraft der Natur, sich von selbst wieder zu erholen, beeindruckt. Ein Beispiel dafür ist die Theiß-Katastrophe. Pascal konnte heute einen Angler beobachten, der einen riesigen Fisch aus dem Wasser zog. Die Wunden, die das Zyanid damals hinterlassen hat, wurden von der Natur wieder geheilt. Ihm selber schenkt die Einfachheit des Wassers und der Natur unheimlich viel Kraft, es inspiriert ihn. Genauso wie schon viele Denker und Dichter von der Einfachheit der Natur inspiriert wurden, es ihnen neue Impulse für ihre Gedanken und Werke gab.

Danach ging es für Pascal vorbei an einigen kleinen Donaudörfern und dem Belgrader Militärflughafen. In einer langgezogenen Kurve vor Belgrad wurde es für Pascal dann zäher, Seitenwind kam auf, und am Rand sah er unheimlich viel Müll und Dreck – zum einen von der Donau angespült, zum anderen aber auch sicherlich durch Angler und Tagesausflügler hausgemacht. Von hier konnte er schon Belgrad heranrücken sehen, vor allem die erste große Brücke, auf die es nun immer geradeaus zuging. Das erste was Pascal dann konkret von Belgrad sah, war ein Knauf-Werk, einen deutschen Hersteller von Baustoffen. Womöglich kamen Gedanken an die Heimat bei ihm auf.

Noch vor dem Zentrum passierte Pascal dann Zemun mit seiner Zeile voller eleganter Ufergastronomien, das heute ein Vorort von Belgrad ist. Früher war es Grenz- und Zollstation und eine wichtige Quarantänestation im Habsburgerreich. Alle von Ost nach West Reisenden mussten hier zehn Tage ausharren und ihre Gesundheit unter Beweis stellen.

Gegen 14:30 Uhr landete Pascal schließlich beim Ruderclub Zemun an, und hier konnte er auch sein SUP für die Nacht deponieren. 1.288,5 km hat er bis Belgrad zurückgelegt und dafür bei rund 290.000 Paddelschlägen insgesamt 180 Stunden auf dem SUP gestanden. Das ist ein Durchschnitt von mehr als sieben Kilometern pro Stunde. Eine sehr respektable Leistung.

Über die Büsche ging es dann hinauf in den Stadtteil Zemun, der eher durch Ruhe und Gelassenheit glänzt. Genau das Richtige für Pascal. Bei heißer Schokolade und serbischem Blaubeerkuchen sammelt Pascal nun Kalorien für die nächsten Tage in einem Restaurant mit einem herrlichen Blick auf die Donau und Belgrad. Die Kalorien wird er auch brauchen. Vor allem wegen des Rückstaus durch zwei Wehre beim Eisernen Tor werden die nächsten Tage vermutlich strömungsärmer. Und das macht Pascal auch ein wenig Sorge, es könnten harte Etappen werden. Den Abend möchte Pascal entspannen und Kraft für morgen tanken.

Heute ist Belgrad übrigens eine der angesagtesten Städte für junge Party-Reisende. Es gibt lässige Bars, Künstlercafés mit „coolen“ Hipstern, billige Drinks, wunderschöne Frauen. Der perfekte Ersatz für Prag, Budapest und Warschau, die man schon zur Genüge gesehen hat. Eine faszinierende Stadt mit unzähligen Gotteshäusern, Festungen, Plätzen, aber auch Kriegsruinen der NATO-Luftangriffe von 1999. Die Probleme, wie die alltägliche Korruption, hetzende Politiker, beschützte Kriegsverbrecher, heruntergekommene Viertel, unter Brücken hausende Roma, starke Umweltverschmutzung etc. werden bei der Verwirklichung des eigenen coolen Lifestyles der Partygäste gerne übersehen. Wie sich Belgrad in Zukunft entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Megaprojekte rund um das Hafenviertel sind geplant. „Manhattan des Balkans“, „Ausverkauf an arabische Investoren“, „Purer Größenwahn“ sind wiederkehrende Schlagzeilen der letzten Monate und Jahre. Wie immer ist es eine Gratwanderung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und der Bewahrung von Traditionen. Und natürlich muss die Frage gestellt werden, wem diese Projekte denn tatsächlich zugutekommen. Der lokalen Bevölkerung oder doch eher einer korrupten Clique? Große Zweifel kommen auf.

Der Donaureisende Claudio Magris interessiert sich weniger für die unendlichen Möglichkeiten des Belgrader Nachtlebens. Er beschreibt vielmehr die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihre Folgen: „Die Geschichte, die Vergangenheit Belgrads lebt nicht so sehr in den wenigen verbliebenen Monumenten als in einem unsichtbaren Substrat: Kulturen und Zeitalter, die sich wie Blätter in der Erde zersetzt haben, einen vielschichtigen, fruchtbaren Humus, in die diese mehrfache Stadt ihre Wurzeln gesenkt hat, die sich unaufhörlich erneuert, weshalb sie in ihrer Literatur häufig als Keimstätte ihrer Metamorphosen beschrieben wird.“ Belgrad, eine Stadt, in die man tiefer eintauchen muss, um sie zu verstehen. Parties und billige Drinks reichen nicht.

Morgen geht es für Pascal durch das industrielle Herz von Serbien bis nach Smederovo. TF

PS: Mehr zum Film Fishpeople findet Ihr hier: http://www.patagonia.com/fishpeople.html.