Tag 32: Von Novi Sad nach Slankamen – 40,7 km – 4:20 Stunden – 8.044 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.246,2 km

Tag 32: Von Novi Sad nach Slankamen – 40,7 km – 4:20 Stunden – 8.044 Paddelschläge – Gesamtkilometerstand: 1.246,2 km

20.08.2017. Man muss sich das mal vorstellen. Da gibt es einen Fluss, er gilt als fischreichster Strom in ganz Europa. Über Jahrhunderte hatte er die ansässigen Menschen in der Ukraine, in Rumänien, Ungarn und Serbien ernährt. Er war ihre Existenzgrundlage. Und dann  geschah es. Vermutlich war es sogar absehbar. Am 30. Januar 2000 kam es in einer Goldmine in Baia Mare, im siebenbürgischen Rumänien wegen starker Regenfälle zu einem Dammbruch. Hochgiftiges Zyanid trat aus und floss in die Theiß. Sie mündet in Slankamen, Pascals heutigem Zielort, in die Donau. Durch die Giftwelle wurden rund 1.400 Tonnen Fisch vernichtet, unzählige Pflanzen gingen elendig zu Grunde. Die gesamte Theiß und der mittlere und untere Donaulauf waren betroffen. Nach vier Wochen mündete das Gift schließlich im Donaudelta im Schwarzen Meer und marginalisierte sich dort. Es war nach Tschernobyl die größte Umweltkatastrophe Osteuropas. Ein Drama für den ganzen Donauraum. Eine Hypothek, die die Flusslandschaften jahrelang beeinträchtigte.

Bevor Pascal sich heute in Richtung Slankamen aufmachte, der auch von dieser Tragik betroffen war, gönnte er sich nochmal einen kleinen Rundgang in Novi Sad. Er sprach von den zwei Gesichtern der Stadt. Auf der einen Seite eine schöne restaurierte Innenstadt in barocker Pracht, und dann auf der anderen Seite, nur wenige Meter weiter weg, heruntergekommene Gebäude, sozialistischer Plattenbau in seiner typischen Manier – ein wahrer Kontrast.

Gegen 10:45 Uhr startete er dann seine heutige Tagesetappe. Die Bedingungen waren äußerst gut, Pascal hatte Strömung, es war mit 22 Grad wesentlich kühler als in den letzten Tagen. Hinzu kamen ein leichter Rückenwind und etwas Regen – auch mal eine nette Abwechslung und für ihn erfrischend. So ging es heute für Pascal rasch voran.

Die Region, die Pascal nun in den ersten Tagen in Serbien passiert, heißt Vojvodina. Es ist eine der fruchtbarsten Regionen in ganz Südosteuropa und größtenteils eine Fortsetzung der pannonischen Tiefebene, in der früher viele Donauschwaben angesiedelt wurden, nachdem durch die Türkenkriege ganze Landstriche vollständig entvölkert waren. Das Flussbett der Donau ist hier sehr breit und vom Menschen in eher geringem Maße reguliert. Neben vielen Nebenverästelungen gibt es auch zahlreiche kleinere künstliche Kanäle für die Binnenschifffahrt. So mündet direkt nach dem Start der kleine DTD-Kanal in die Donau, der sie mit der Theiß verbindet.

Nach rund acht Kilometern passierte Pascal dann das beschauliche Städtchen Sremski Karlovci. Karlowitz, wie es zu Deutsch heißt, hatte für die Österreicher eine enorme Bedeutung, denn hier wurde 1699 zwischen Österreich, Polen, Venedig und dem Osmanischen Reich der Frieden von Karlowitz geschlossen, der die Habsburgermonarchie für die nächsten 200 Jahre zur Großmacht auf dem Balkan erhob. Die „Donaumonarchie“ war damit geboren. Damals, ab 1683, herrschte im Donauraum der „Große Türkenkrieg“.  Die Osmanen konnten weit, bis zum Eisernen Tor, zurückgedrängt werden, sie mussten das Gebiet weitläufig räumen. Die Österreicher bewogen auch die im Kosovo lebenden Serben zum Kampf gegen die Türken. Doch dann ließen die Habsburger die Serben im Stich und zogen ihre Truppenverbünde ab. Die Osmanen rächten sich an den Serben, und hetzten auch noch islamische albanische Stämme gegen sie auf. Viele Serben flohen in das Banat und die Vojvodina. Eine immense Völkerverschiebung und eines der vielen historischen Traumata, das heute noch im Konflikt Serbien/Kosovo gerne für die eigene Agenda missbraucht wird.

Nach rund 20 Kilometern feierte Pascal endlich Bergfest, die Hälfte des Weges zum Schwarzen Meer war erreicht. Er ließ aber als Ausdauersportler keine Sektkorken knallen, sondern gönnte sich zwei Kilometer später die erste und einzige Pause des Tages in idyllischer Natur. Die Idylle erwies sich aber teilweise als Trugschluss, denn die Donau führt nun wieder weniger Wasser als in den letzten Tagen, und dadurch kam wieder vermehrt Plastikmüll zum Vorschein, der Pascal auf seinen Pausen immer wieder begleitet.

Der Verkehr auf der Donau war heute äußerst ruhig, Pascal zählte über den ganzen Tag nur vier Lastkähne, und er passierte auch nur eine große Brücke. Er nutzte die Ruhe der Donau und dachte an Lynne Cox, eine ungewöhnliche Frau. Sie durchschwamm mit 15 Jahren den Ärmelkanal und schaffte es 2002 über eine Meile durch das Eismeer zu schwimmen, nur mit einem Badeanzug bekleidet. Eine außergewöhnliche Leistung. Was aber besonders beeindruckt: Sie tut es nicht für sich. Sie schwimmt für die Natur und setzte sich auch für ein friedliches Miteinander der verschiedenen Völker ein. 1987 wagte sie ein politisch riskantes Unterfangen: Mitten im Kalten Krieg durchquerte sie die Beringstraße und schwamm bei einer Wassertemperatur von 4 Grad von Alaska rüber in die Sowjetunion. Es war der Versuch zwischen den verfeindeten Parteien eine Annäherung zu schaffen. Sowohl Reagan als auch Gorbatschow gratulierten ihr zu dieser Aktion. In Gedanken an Lynne Cox stellte sich Pascal die Frage, ob nicht jeder etwas tun kann, sei es ein gesellschaftliches, politisches, kulturelles oder umweltschützendes Engagement – und sei es noch so klein. Ein guter Punkt. Zu Lynne Cox außergewöhnlichen Aktionen erfährt man mehr in ihrem Buch Die Eismeerschwimmerin.

Pascal erreichte schließlich gegen 15:30 sein Tagesziel Slankamen. Im Ort gibt es noch Reste einer alten Burg und zwei Kirchen zu sehen. Der heilige St. Nikolaus, den Pascal in der katholischen Kirche bewundern konnte, gilt als Beschützer der Seeleute und Reisenden – sicherlich ein gutes Omen für Pascals weitere Reise, auch wenn er evangelisch ist. Wieder sah er viel Mischmasch zwischen renovierten und heruntergekommenen Häusern und er wunderte sich über die vielen Autos in dem kleinen Ort. In der Nähe befindet sich jedoch ein Krankenhaus, das scheinbar ausgiebig genutzt wird. Am Sandstrand des Ortes fielen Pascal wieder die Unmengen an Müll auf. Es deckt sich mit den bisher erworbenen Erkenntnissen, dass in Sachen Umweltbewusstsein in den südosteuropäischen Ländern noch viel Arbeit zu tun ist. Pascals heutige Unterkunft ist eher simpler Natur. Das stört ihn aber nicht weiter und er lässt den Tag nun beim Probieren eines Weines der Vojvodina ausklingen.

Die Umweltkatastrophe von 2000 hätte übrigens verhindert werden können. Mal wieder war es menschliches Versagen: Konstruktionsfehler, fehlende Sicherheitskontrollen, Einsparungen an falscher Stelle. Die Theiß, die im Jahr 2000 so leiden musste, hat bis Novi Sad 966 Kilometer hinter sich gebracht und spendet der Donau wieder mal reichlich Wasser, das einen eher lehmigen Zustand hat. Sie ist damit der längste Nebenfluss der Donau und entspringt den Waldkarpaten in der Ukraine. Über die Jahrhunderte wurde sie stark reguliert. Vor den Begradigungen hatte sie noch eine Länge von über 1.400 Kilometern, heute sind es noch 966 Kilometer. Gemeinsam mit der Donau bildete sie früher ein riesiges Sumpfgebiet mit häufigen Überschwemmungen und einer großen Vielfalt an Flora und Fauna.

Morgen geht es für Pascal zur Balkanmetropole schlechthin, Belgrad. Wow! TF