Tag 17: Von Gönyü nach Komárno – 23,0 km – 5:03 Stunden – 5.791 Paddelschläge

Tag 17: Von Gönyü nach Komárno – 23,0 km – 5:03 Stunden – 5.791 Paddelschläge

05.08.2017. Die Slowakei, Pascal durchquert sie derzeit auf einer Länge von ca. 180 Kilometern. Möchte man dieses Land und sein Volk verstehen, dann sollte man einen kurzen Blick in die Geschichte werfen. Das ursprüngliche Slowakentum, eines der ältesten slawischen Völker, bildete sich während des Großmährischen Reiches im neunten Jahrhundert aus. Sie waren danach lange Teil des Stephansreiches, der Vorläufer des späteren Ungarns. Es ist eine 1.000 jährige Beherrschung durch die Magyaren, die noch heute von slowakischen und ungarischen Populisten für nationalistische Töne missbraucht wird.

Stets wurden sie beherrscht, unterdrückt, letztendlich nicht mehr als ein Volk von Bauern betrachtet, denen die Kultur, die Werte, die Denkweise der Beherrscher auferlegt wurde – das Ungarische, Osmanische, Habsburgische und natürlich das Deutsche, stets mit dem Gefühl der Überlegenheit der eigenen Kultur. Die eigene Sprache und die eigenen Lieder wurden unterdrückt. Zu Hause jedoch, im Schutz der eigenen vier Wände, kam es hervor, das, was schon immer in ihnen brodelte: die eigene Identität, die eigenen Wurzeln, und hier lebten sie es aus – das Slowakische. Erst 1993 wurden sie unabhängig, getrennt vom tschechischen Brudervolk, von denen sie in Wahrheit mehr trennt als verbindet, denn auch er, der Bruder, behandelte sie stiefmütterlich. Und hierin liegt vielleicht auch die Begründung, warum trotz allen wirtschaftlichen Aufschwungs im Rahmen der EU-Mitgliedschaft es schwer fällt, Kompetenzen abzugeben, die man erst vor kurzem, seit Ewigkeiten, für sich gewinnen konnte.

Nach einer eher bescheidenen Nacht aufgrund der großen Hitze startete Pascal seine heutige Tour gegen 10:50 Uhr. Er wurde ein kleines Stück von Daniel, dem Inhaber seiner Unterkunft, und dessen Freundin im Doppel-Kajak begleitet. Nach der Verabschiedung mit den beiden setzte Pascal seine Tour in der Fahrrinne Donau fort.

Kurz nach Gönyü mündet die Raab in die Donau, die nochmal zusätzliches Wasser spendet. Hier findet ein deutlicher Gefällebruch statt. Die Raab hat zuvor bei Györ die Altenburger Donau aufgenommen, den südlichen Donauarm. Früher hatten die Schiffer an dieser Stelle noch gefährliche Stromschnellen zu überwinden. Pascal hat durch die Regulierungsmaßnahmen des Menschen davon nichts mehr gespürt.

Die Raab entspringt in der Steiermark und hat rund 250 Kilometer bis zur Donau zurückgelegt. Sie wird zum Teil auch als „Schäumende Raab“ bezeichnet. Leider im negativen Sinne, da in Österreich Fabrikabwässer in ihr abgeleitet wurden, die zu verstärkter Schaumbildung führten. 2010 floss auch noch aufgrund eines Dammbruchs ätzender Rotschlamm aus einem Zubringerfluss in die Raab – eine der größten Umweltkatastrophen in Ungarn. Immerhin wurden in der Zwischenzeit von Österreich und Ungarn Maßnahmen eingeleitet, um die Wasserqualität der Raab zu verbessern. Ein wirklich brachiales Umdenken hat jedoch noch nicht stattgefunden.

Nach rund zehn Kilometern machte Pascal seinen ersten Tagesstop. Mal wieder war es eine Idylle in schöner Natur. Doch nur zwei bis drei Metern hinter ihm entdeckte Pascal wieder vermehrt Plastikmüll, vermutlich wird er ihn in den nächsten Wochen begleiten. Auf der Wasseroberfläche selbst ist in der Regel wenig Müll zu sehen, hier und da treiben vereinzelt Teile. Das Drama spielt sich wahrscheinlich einige Meter unterhalb der Wasseroberfläche ab. An dieser Stelle dachte Pascal auch nochmal an seinen guten Freund Florian Jung, einem Weltcup-Windsurfer, der gemeinsam mit einer Meeresbiologin den Atlantik durchsegelte, um zu erforschen, welche Ausmaße Plastikmüll auf den Ozean haben. Ein spannendes Projekt. Mehr zu Florians Mission findet Ihr hier: http://aquapower-expedition.com/.

Pascal ließ es heute entspannt angehen. Für die Pause ließ er sich gut zwei Stunden Zeit, da er wusste, dass es bis Komárno nur etwas mehr als 20 Kilometer sind – eine ruhige Abwechslung im Vergleich zur gestrigen Etappe. Allgemein fiel im auf, dass in der Slowakei die Donau wesentlich mehr von den Menschen zum Baden genutzt wird. Vermutlich liegt es dann doch an den eher natürlich überlassenen Uferbereichen im Vergleich zu Deutschland und Österreich.

Nach nochmaligen zehn Kilometern entspannten Paddelns erreichte Pascal das Tagesziel Komárno am Nachmittag gegen 16 Uhr. Es war ein abenteuerlicher Ausstieg, denn das heutige Hotel befindet sich hinter einer Industrieanlage. Nach dem er durch das Gelände lief, wurde er durch einen Wachmann aufgehalten. Nach kurzer Schilderung der Situation ließ ihn der Wachmann durch das Fabriktor passieren. Angekommen in der heutigen Unterkunft staunte Pascal nicht schlecht, denn im Haus waren an verschiedenen Stellen Startnummern an den Wänden angebracht. Es stellte sich heraus, dass der Inhaber Teilnehmer der Kajakrennen bei den Olympischen Spielen 2004 und 2008 war. Schauen wir mal, ob er Pascal vielleicht noch über den Weg läuft.

Komárno selbst war eine bedeutende Festung im königlichen Ungarn und konnte als einer der wenigen von den Osmanen nie eingenommen werden. Zu Habsburger Zeiten war es eine Zeit lang der letzte christliche Außenposten. Den Abend läßt Pascal entspannt ausklingen.

Nochmal zurück zur Slowakei: Umweltprobleme und globaler Klimawandel sind hier keine Themen, die von Politik, Medien und Öffentlichkeit intensiv wahrgenommen werden. Nicht zufällig hat es in der Slowakei bisher keine Grünen-Partei geschafft, sich im Parlament nachhaltig zu etablieren. Auch Bürgerinitiativen und NGOs erfahren wenig bis gar keine mediale Aufmerksamkeit. Somit ist Pascals Aufenthalt zwar nur ein kleiner Schritt, aber sicher eine gute Gelegenheit, um mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen und ein größeres Bewusstsein für die Natur und das Wasser zu schaffen – trotz der möglichen Sprachbarriere. Getreu der Devise von Doug Tompkins (Gründer von Esprit und Northface), der in einem seiner letzten Interviews sagte, bevor er starb: „Ich weiß, dass nicht jeder meine Mittel hat, aber ich sage, das macht nichts, unternimm’ etwas nach deinen Möglichkeiten, du wirst es als lohnenswert und wertvoll empfinden und bezahlst damit die Miete für dein Leben auf diesem Planeten. Tu es einfach.“ Doug Tompkins selber schuf ein riesiges Naturschutzgebiet in Patagonien, im Süden Chiles, indem er rund 81.000 Hektar Land erwarb und es renaturierte. Nach seinem Tod soll es unter strengen Auflagen wieder zurück an Chile übergeben werden. Mehr Informationen dazu findet Ihr hier: http://www.conservacionpatagonica.org/home.htm.

Morgen geht es für Pascal weiter bis nach Esztergom, eine der ältesten Städte Ungarns, mit besonderer historischer Relevanz. TF

PS I: In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung findet sich eine große Beilage zur Isar: „Fluss im Stress: Wofür die Isar auf ihren 292 Kilometern zwischen Karwendel und Plattling herhalten muss“. Die Artikelsammlung findet Ihr im Bayernteil auf den Seiten R16/17. Lesenswert!

PS II: Da schon Fragen zu Pascals Equipment kamen, haben wir mal einige Bilder hinzugefügt. Sagen wir mal so: viel hat er nicht dabei.