02.08.2017. Carnuntum, die Hauptstadt der römischen Provinz Pannonien. Es droht Gefahr. Die Barbaren stehen drüben, auf der anderen Seite der Donau. Die Römer schlagen ihr Lager auf. Und sie haben ihren großen Führer dabei: Marc Aurel, römischer Kaiser, Philosoph, Denker, Beschützer aller Länder. Zwei Jahre wird er hier und weiter oben in Vinobonda, dem späteren Wien, lagern. Und dabei eines seiner wichtigsten Werke verfassen, das für viele Menschen der Kompass für ein würdevolles und gelassenes Leben ist: seine Selbstbetrachtungen.
Das Buch darf natürlich auch nicht in Pascals Bücherregal fehlen. So passierte er das historische Römerlager in Gedanken an den großen Stoiker Marc Aurel am frühen Nachmittag kurz vor dem Tagesziel Hainburg.
Nach der hoffentlich letztmaligen Anfahrt per U-Bahn und anschließender Verabschiedung von Chris Sammer startete Pascal heute gegen 9:20 Uhr seine zwölfte Etappe. Zunächst ging es für ihn nochmal einige Kilometer durch die Innenstadt, die Vororte mit den vielen kleinen Hausbooten und vorbei am Flughafen Wien – immer geradeaus der begradigten Donau entlang. Auf Wien folgt das Wiener Becken, das flach nach Osten in ein Marchfeld übergeht. Es ist eine breite Tiefebene zwischen Alpen und Karpaten und deutet schon an, was bald auf Pascal zukommen wird: einsame, endlos wirkende, flache Ebenen.
Plötzlich sprang aus dem Gebüsch eine Frau heraus und rief zu Pascal: „Bist Du der aus der Zeitung?“ Worauf Pascal entgegnete: „Das bin ich, und was machst Du hier?“ „Leben“ war ihre Antwort. Nach kurzem Überlegen, ob er einen Einkehrschwung machen sollte, paddelte er weiter – unsicher, ob er nicht besser für ein vielleicht spannendes Gespräch hätte anhalten sollen. In diesem Moment kam er sich vor wie Odysseus, der sich an den Masten seines Schiffs anbindet, um nicht dem betörenden Gesang der Sirenen zu erliegen.
Wenig später konnte er bei der Abbaggerung der „Rolling Stones“ zuschauen. Das sind von der Donau mittransportierte Steine, die nach der Schleuse Freudenau ins Wasser geworfen werden und von der Donau mitgeschleppt werden und sich ablagern. Anschließend werden sie im Verlauf bis Hainburg ausgebaggert und zurück gefahren, um wieder ins Wasser geworfen zu werden – eine Sisyphos-Arbeit, um den natürlichen Vertiefungsprozess der Donau zu verhindern.
Die weitere Passage bis nach Hainburg ist eine schöne Passage, gesäumt von der größten in Europa erhaltenen Auenlandschaft, den sogenannten Donau-Auen. Die Donau kann hier nochmal frei und unbeeinflusst vom Menschen fließen. Es ist ein besonderes Ökosystem mit regelmäßigen Überflutungen, kleinen Seitenarmen und natürlichen Schotter- und Sandbänken, das wilden Auwäldern und vielen Tierarten Raum schenkt. Der Nationalpark Donau-Auen wurde nicht durch die Regierung Österreichs initiiert, sondern in den 80ern durch Bürgerproteste vor dem beabsichtigten Bau eines Donaukraftwerks gerettet, das die Auen zerstört hätte.
In den letzten Jahrzehnten hat ein grundsätzliches Umdenken in Österreich stattgefunden. Von weiteren Eingriffen in die Donau hat man Abstand genommen. In den letzten Jahren wurden einzelne Flussabschnitte renaturiert, man lässt die Seitenarme mäandern und neue Auenwälder entstehen. Auch Straßen werden von den Donauufern fern gehalten. Die Schifffahrt hält sich einigermaßen in Grenzen.
Gegen 14:30 Uhr erreichte Pascal sein Tagesziel. Er ist am Ende des deutschsprachigen Donauraums angekommen. Sicherlich kommt bei ihm etwas Wehmut auf, hat er doch eine große Passion für die österreichische Lebensart. Und dennoch war es für Pascal ein wunderbarer Tag, fernab der großen Stadt erlebte er nach wenigen Kilometern Natur pur, und das bei bester Strömung: „Wenn man die Donau fließen lässt, dann fließt sie“, rief er mir begeistert am Telefon zu. Den Abend verbringt er nur wenige Meter von der Donau entfernt, und nutzt die Ruhe, um endlich die ersten Zeilen in sein Tagebuch zu schreiben.
Die Donau selbst galt zu Römerzeiten übrigens als nasser Limes, als natürliche Grenze zum Barbarentum. Die Römer brachten dem Donauraum Verwaltung, Straßen, Brücken, Häfen, Aquädukte und gaben durch Wachtürme, Kastelle und patrouillierende Schiffe Sicherheit. Marc Aurel war einer der letzten erfolgreichen Herrscher Roms. Sein Ziel war es stets gerecht, vernünftig und gelassen zu handeln und sich bei all den Wirren der damaligen Zeit seine Seelenruhe zu bewahren. Die Seelenruhe bewahren – genau das ist es, was Pascal für die kommenden Herausforderungen zu wünschen ist. „Sei wie ein Fels, an dem sich beständig die Wellen brechen! Er bleibt stehen, während sich rings um ihn die angeschwollenen Gewässer legen.“ (Marc Aurel, Selbstbetrachtungen).
Morgen geht es in das dritte Land auf Pascals Reise: die Slowakei. Vor allem auf dem letzten Stück der morgigen Reise folgt eine wohl sehr nachdenklich machende Passage. Es geht durch die ersten Kilometer des Gabčíkovo-Stausees, einer der heftigsten Eingriffe des Menschen in die Donau. TF